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Titel
General Guisan. Widerstand nach Schweizerart.


Autor(en)
Somm, Markus
Erschienen
Bern 2010: Stämpfli Verlag
Anzahl Seiten
247 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Daniel Marc Segesser, Historisches Institut, Universität Bern

Warum Guisan? Mit dieser Frage beginnt Markus Somm sein Buch zu General Henri Guisan und führt die Leserin und den Leser als Erstes nach Faulensee in eine alte Festung, die von Freiwilligen zu einem Museum umgestaltet wurde. Dort hängt, wie es früher selbstverständlich war, auch ein Porträt von Henri Guisan an der Wand. Am Ende des Zweiten Weltkrieges sei der General ein Star gewesen, dem es gelungen war, die Schweiz durch seinen Rückzug ins Reduit davor zu bewahren, in den Krieg hineingezogen zu werden. Heute sei er hingegen weitgehend vergessen, was Somm vor allem darauf zurückführt, dass die Historikerinnen und Historiker der heutigen Zeit sich mehr für die wirtschaftliche Zusammenarbeit interessieren würden. Die Rolle der Armee interessiere die Geschichtswissenschaft kaum mehr und werde zu Unrecht tabuisiert. Der Mythos des Reduit sei aber lebendiger denn je, wie eine 2009 produzierte Sendereihe des Schweizer Fernsehens gezeigt habe. Ohne es direkt zu sagen, macht sich Somm so zum Sprecher von Volkes Stimme, das im Gegensatz zu den professionellen Historikerinnen und Historikern noch genau wisse, was richtig sei. Guisan sei keine bessere Ausgabe von HD Läppli und auch kein Statist im Zweiten Weltkrieg, der jederzeit durch einen anderen hätte ersetzt werden können. Auf ihn kam es an, so Somm, und deshalb sei es wichtig, den General wieder in das richtige Licht zu rücken. Willi Gautschi, für Somm ein echter Veteran des Aktivdienstes, habe dies in seinem Standardwerk eigentlich getan, doch werde das Buch trotz vieler positiver Besprechungen von jungen Menschen kaum mehr zur Kenntnis genommen.

Damit ist klar, welches Ziel Somm verfolgt. Guisan muss wieder zum Helden werden, auch wenn er dafür eigentlich ein unwahrscheinlicher Kandidat gewesen sei. Er war kein militärisches Genie und wäre wohl in keinem anderen Land als der Schweiz an die Spitze des Militärs gelangt. Aber im Gegensatz zu anderen habe Guisan seine Macht nie missbraucht und er habe sich auch nie eingebildet, Geschichte formen und für seine eigenen Zwecke instrumentalisieren zu können. Im Gegensatz zum überforderten Bundesrat sei es Guisan mit der Schaffung des Reduit gelungen, die Unabhängigkeit der Schweiz zu bewahren. Somm kritisiert daher Historiker wie Markus Heiniger oder Jakob Tanner scharf und bezeichnet deren Thesen als «neue Orthodoxie» (S. 157), die es zu hinterfragen gelte. Es sei nicht der Zweck des Reduits gewesen, eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Deutschland zu ermöglichen. Vielmehr habe es sich um eine Notfalllösung gehandelt, um die Unabhängigkeit des Landes bis zu einem Sieg der Alliierten zu bewahren. Schon vor 1940 habe Guisan immer auf einen Sieg der Alliierten gesetzt und daher auch geheime Absprachen mit der französischen Militärführung getroffen. Somm ist überzeugt, dass es solche gegeben habe, obwohl Guisan dies immer bestritt. Hier hatte wohl der General recht, denn die französische Militärführung unter General Gamelin, die der Autor wie die ältere Forschung als komplette Versager abstempelt, wusste sehr genau, wie sie mit heiklen politischen Fragen wie der Neutralität der Schweiz umgehen musste. Mehr als informelle Absichtserklärungen gab es daher nie. Auch Somm hätte dies erkennen können, denn er zeigt schön auf, dass der deutsche Staatssekretär Ernst von Weizsäcker im Umgang mit diesen angeblichen Quellen seine ganz eigenen Ziele verfolgte und auch vorgab, diese vernichtet zu haben, um die Schweiz zu schützen, was er von Beginn weg ja schon hätte tun können.

Die Niederlage Frankreichs vom Sommer 1940 traf Guisan wie die politische Führung als Schock und lähmte auch ihn, wie Somm richtig erkennt. Erst die anpasserische Rede des vom Autor als ehrgeizigen, eingebildeten und elitären Waadtländer Radikalen beschriebenen Bundesrat Marcel Pilet-Golaz, der sich unschweizerisch wie ein Monarch aufgeführt habe, bot Guisan die Chance, sich von der Politik abzusetzen. Den Rütlirapport beschreibt Somm dabei als wichtigen, aber auch riskanten Wendepunkt. Es sei keineswegs klar gewesen, dass es dem General gelingen werde, die Skeptiker zu überzeugen, dass er es nun mit dem Widerstand ernst meine. Das Reduit sei schliesslich die Umsetzung dieser Haltung durch einen Menschen gewesen, den Somm zum Schluss seines Buches nicht nur den höflichen General, sondern auch als das konservative Gegenbeispiel zu Hitler nennt. Er habe durch das Reduit den Widerstandswillen der Schweiz wirkungsvoll verkörpert und sich nur in seiner Haltung zur schweizerischen Flüchtlingspolitik geirrt. Guisans mit sonorer Stimmlage vorgetragene Ermahnungen seien der hörbare Unterschied «zwischen einer alten Demokratie und einem Regime von Lügnern» (S. 222) gewesen und der General sei, so zitiert Somm zum Schluss Herbert Lüthy, der Hirte gewesen, um den sich die Schutz suchende Herde geschart habe.

Insgesamt hinterlässt das Buch von Markus Somm einen zwiespältigen Eindruck. Seine Studie mutet an wie eine Rückkehr zur Geschichte der grossen Männer sowie zu einer Glorifizierung konservativer Militärs. Das erinnert in fataler Weise an die Art und Weise wie ähnlich denkende Offiziere im Deutschen Reich lange als der saubere Teil der Wehrmacht dargestellt wurden. Eine fundiertere Quellenkritik und eine stärkere Einbindung in die internationale Forschung der Gegenwart zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges wären hier sicherlich angebracht gewesen. Somms Studie enthält allerdings auch interessante Erkenntnisse, die der Autor aber vielleicht gar nicht so intendiert hat. So spricht Somm davon, dass der General «Widerstand nach Schweizerart» geleistet und «den Schweizern das Gefühl [gegeben habe], auch aus eigener Kraft den Krieg glücklich überstanden zu haben» (S. 13). Er zeigt auch auf, dass der General die Limmatstellung mitten durch Zürich verlaufen liess, ohne sich die Frage zu stellen, ob und wie in der Stadt ein Häuserkampf geführt und wie die Stadtbevölkerung in einem solchen Fall evakuiert werden sollte. Eine Antwort auf eine entsprechende Anfrage der Zürcher Regierung blieb vonseiten des Generals aus (S. 48). Somm klärt auch die Frage nicht, wie die Logistik und Versorgung der im Reduit kämpfenden Truppen ohne die wirtschaftlichen Ressourcen des Mittellandes in einem «totalen Krieg» hätte sichergestellt werden sollen. Wichtiger als eine reale Verteidigung der Schweiz, die Guisan wie viele seiner Kameraden im Schatten des «totalen Krieges» nicht wirklich sicherzustellen verstanden hätte, war für den Mann mit einem «ausgeprägten Gespür für Public Relations» (S. 53) die Mystifizierung von Militär und Geschichte. Sein Erfolg lag daher primär darin, dass es ihm gelang, den Menschen den in Realität gar nicht bestehenden Eindruck zu vermitteln, dass der Rückzug der Armee ins Reduit der primäre Grund für die Bewahrung der schweizerischen Eigenständigkeit gewesen sei. Diesem Schöpfer des Mythos des Reduit will Markus Somm ein Denkmal setzen. Schade nur, dass dieser Mythos schon lange seinen Glanz verloren hat. Dieser lässt sich – leider, mögen einige bedauern – auch mit den besten Public Relations und den durchaus bemerkenswerten Schreibkünsten eines sehr begabten Journalisten nicht wieder zum Leben erwecken. Eine kritische Auseinandersetzung mit Guisans Wirken wie auch mit der wirklichen militärischen Bedeutung des Reduit bleibt deshalb ein Desiderat der modernen Militärgeschichte.

Zitierweise:
Daniel Marc Segesser: Rezension zu: Somm, Markus: General Guisan. Widerstand nach Schweizerart. Bern: Stämpfli Verlag AG 2010. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 74 Nr. 2, 2012, S. 172-174.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 74 Nr. 2, 2012, S. 172-174.

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